In Krisenzeiten wie diesen, in denen das Kulturleben komplett zum Erliegen kommt und digital hinter die Bildschirme verschwindet, wächst das Bedürfnis nach echtem persönlichem Kontakt und einem analog geteilten musikalischen Erlebnis. Mit einem brandneuen Konzertformat gingen die Musikerinnen und Musiker des SWR Symphonieorchesters am 2. Mai 2020 an den Start: den 1:1 Concerts! Entwickelt wurde die Idee von der Künstlerin Marina Abramovićs mit der Performance „the artist is present“. Unter Beachtung des Sicherheitsabstands treffen eine Musikerin bzw. ein Musiker und ein Gast aufeinander. Sie nehmen Blickkontakt auf – ohne Worte. Es folgt eine Minute der Stille. Inspiriert durch diese Begegnung beginnt der Musiker auf seinem Instrument zu spielen. 

Wie habe ich dieses Konzert in der Galerie Valentien erlebt, als einer der Ersten, der dabei sein durfte? 

Empfangen wurde ich von der Galeristin Imke Valentien. Als Gastgeberin informierte sie mich über die Formalitäten und den Ablauf. Die Spannung wuchs, denn die Teilnehmerin vor mir kam tief bewegt aus der Galerie. 

Imke Valentien führt mich in einen hellen, lichtdurchfluteten Raum. Mein erster Blick fällt auf den Musiker, dann auf die Markierung des Raums mit Klopapierrollen. Wen wunderts? Diese „Schwelle“ gilt es zu überschreiten. Ich betrete einen neuen Bewusstseins-Raum. Zögernd setze ich mich auf den freien Stuhl. Mir gegenüber sitzt der Künstler, im linken Arm ein Cello und rechts hält er einen Bogen. Meine Sinne sind fokussiert. Wir nehmen Blickkontakt auf. Mit verhaltener Neugier treffen sich unsere Blicke. Eine angenehme Ruhe geht von ihm aus. Kontaktaufnahme, wie sie unmittelbarer nicht sein könnte. Eine neue Dimension für den „Augenblick“. Moment für Moment, Atemzug für Atemzug volle Präsenz. Den Raum mit den Kunstwerken nehme ich noch schemenhaft wahr. 

Begegnung und Verbundenheit

Begegnung. Ja, sie ist möglich, auch ohne Worte. Jeder ist bei sich, und doch ist Verbundenheit spürbar. Jeder erreicht den anderen, auf einer tieferen Ebene. Gelingende Kommunikation, würde Martin Buber sagen. Alles andere, der umgebende Raum, die Begrenzung, sie treten zurück. Ein Resonanzraum entsteht auf einer empathischen Ebene.

Kurz blättert der Künstler noch in seinem Notenmaterial. Dann kann ich an seiner Körpersprache erkennen, dass er die Entscheidung trifft, welches Stück er für mich spielen will. Behutsam setzt er den Bogen an. Volle, warme Klänge dringen an mein Ohr und lassen mich innerlich mitschwingen. Ein Klangteppich erfüllt den ganzen Raum und ist körperlich zu spüren. Weiche tiefe Streicherklänge wechseln sich ab mit launigen Glissandopassagen. Eine gefühlte Ewigkeit dauert dieses Stück, das mich erfüllt und Raum und Zeit verschmelzen lässt auf diesen einen Augenblick, und dann auf den nächsten, immer wieder. 

Dann endet das Stück. Stilles Nachspüren. Schließlich steht der Musiker auf und bringt mich zur Tür. Mit einer Geste des Dankes trete ich hinaus in meinen Alltag. Draußen bekomme ich von Imke Valentien einen Zettel gereicht, auf dem der Name des Musikers und das Stück stehen: Panu Sundquist, Cellist im SWR Symphonieorchester, spielte Dialogo, eine Solosonate für Cello von György Ligeti. Der Titel berührt mich. 

Die Erfahrung einer gelungenen Kommunikation, „Augen-Blicke“, die die Seele berührt haben, diese Erfahrung bleibt. Das Erlebte kann ich mir als Geschenk immer wieder in die Gegenwart zurückholen. In einer stillen Stunde lasse ich das Stück aus meinem Körpergedächtnis heraus nachklingen.

Siegfried Dannwolf, Mai 2020
Bildquelle: Siegfried Dannwolf

Der Autor

Siegfried hat die im April und Mai von QuinteSentio initiierte Aktion Stay in Touch mit kostenfreien Begleitungen für unsere Partner in der Zusammenarbeit, die schwer von der Corona-Pandemie und dem Lockdown betroffen waren, unterstützt. Siegfried wirkt als Coach und MBSR-Trainer nach dem Leitsatz „Lebe und arbeite achtsam„.