Ein Beitrag von Sabine Horst

Eine Reise in den Südkaukasus

2 Wochen gingen Anke Weigend und ich im November 2022 im Auftrage der GIZ über die dbb akademie GmbH nach Tbilisi, Georgien. Im Rahmen von Programmen zu EU-Partnerschaften und der EU-Erweiterung sind wir mit der Gestaltung und Begleitung einer Weiterbildung beauftragt, die für Repräsentantinnen und Repräsentanten von Fortbildungsinstitutionen aus den Ländern der östlichen Partnerschaft, die für die Professionalisierung und Weiterentwicklung öffentlich Bediensteter zuständig sind, durchgeführt wird. Das teilweise auch online geplante Weiterbildungsprogramm bestehend aus mehreren Modulen dient der Ausbildung zu Coaches und Trainern von Coaching – einem durchaus ambitionierten Anliegen!

Die beiden Wochen waren der Kick-Off und wir lernten in Tbilisi Kolleginnen und Kollegen aus Georgien, der Ukraine, der Republik Moldau, Armenien und Aserbaidschan kennen, mit denen wir in den beiden Wochen intensiv arbeiten und Zeit verbringen durften.

Im Rahmen der seit Jahren fortlaufenden, EU-geförderten Personal- und Führungskräfteentwicklungsprogramme hatte ich schon 2018 die Gelegenheit, in Georgien Führungskräfte aus Verwaltungseinrichtungen und 2020 Auditoren in einer online-Maßnahme zu begleiten. Seither ist die Welt eine andere – zumindest für einen Teil der Welt und für mich – nicht aber für alle – wie in unseren Gesprächen deutlich wurde, und ich war sehr gespannt auf die Begegnungen in diesen – für mich – sehr veränderten Zeiten.

  

Zum fachlichen Programm

In dem Kick-Off vermittelten wir unser Grundverständnis eines professionellen Coachings als Personalentwicklungsmaßnahme und eine spezielle Form der Beratung, wissenschaftliche Hintergründe wie u.a. aus den Neurowissenschaften, der Kommunikations- und Resilienzforschung und unser humanistisches Menschenbild als Fundament. Coaching ist in unserem Verständnis eine Maßnahme auf Augenhöhe, die der Stärkung, Ressourcen- und Potenzialentfaltung dient und hierfür ziele- und lösungsorientiert ausgerichtet ist.

 

Mein persönliches Erleben

Unsere Zusammenarbeit fand auf einem hohen Niveau statt mit Kolleginnen und Kollegen aus der Personal- und Führungskräfteentwicklung, die über entsprechende Qualifikationen und Kenntnissen verfügen, so dass wir sehr schnell tiefer in Methoden und Techniken, deren Anwendung und Wirksamkeit und Beziehungsgestaltung als zentrales Kernelement und mehr einsteigen konnten. Methoden, Interventionstechniken, Prozessgestaltung bilden eine Ebene im Coaching und hier konnten wir vieles vermitteln und jahrelange Praxiserfahrung teilen. Eine andere ist die Beziehungsgestaltung, die von kulturellen Faktoren und Organisationsstrukturen – letztendlich auch von politischen Rahmenbedingungen geprägt ist. So schwang unterschwellig die politische Dimension immer mit, die eine Teilnehmerin so zusammenfasste: „It seems to me that Coaching is democratic.“

Während unserer Arbeit, die sehr fokussiert und konzentriert auf die Programminhalte auf Englisch verlief, standen die Fachthemen im Mittelpunkt und es war allen ein Anliegen, diese miteinander zu erörtern, sich ein gemeinsames Verständnis zu erarbeiten, Fragen zu klären, neue Perspektiven kennenzulernen und Anwendungen in Übungen zu erleben. Denn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind mit dem Interesse dabei, Coaching in ihre Systeme und Organisationen zu integrieren und hierfür ein Netzwerk zu bilden.

Der Austausch in den Mittagspausen und an den Abenden verlief in einem Gemisch aus verschiedenen Sprachen und so konnte ich nicht allem folgen, gerne hätte ich hier noch mehr gehört und verstanden. In diesen Gesprächen schwappten sozusagen das Weltgeschehen und die aktuellen Entwicklungen rund um die Heimatländer in unseren geschützten Raum, gewissermaßen in unsere Bubble, hinein.

Der Blick nach außen

Natürlich verfolgten die Kolleginnen aus Armenien und die beiden Kollegen und die Kollegin aus Aiserbaidschan das Geschehen rund um den Konflikt zwischen beiden Ländern und sowohl Vermittlungs- als auch Interventionsbemühungen anderer Länder und der EU. Und nicht zuletzt beschäftigten uns alle, wenn auch nicht ständig ausgesprochen, die Entwicklungen in der Heimat der drei Kolleginnen aus Kiew. Während unseres Aufenthalts eskalierte die Situation rund um den Russland-Ukraine-Krieg durch den Vorfall an der polnischen Grenze. Für eine kurze Zeit stand die Ausrufung des NATO-Bündnisfalls im Raum. Die Handys kamen verstärkt zum Einsatz, der Austausch wurde noch lebendiger und emotionaler. Zum Glück wurde die Situation zumindest diese Eskalation betreffend zunächst beruhigt.

Was mich bewegt

Viel gereist und beruflich international unterwegs finde ich es so wichtig, Menschen zu begegnen und ihnen zuzuhören, ihre Sichtweisen kennenzulernen, Dinge gemeinsam zu hinterfragen, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und sich Fragen anderer zu stellen, Selbstverständlichkeiten neu wertschätzen zu lernen und Bilder in sich neu entstehen zu lassen.

Das Miteinander in unserer Gruppe war ein harmonisches, ausgesprochen interessiertes, ja auch herzliches, geprägt auch von Dankbarkeit für die Möglichkeit zu dieser Maßnahme und den Begegnungen. Viele Erlebnisse aus den beiden Wochen werden mir nachhaltig in Erinnerung bleiben. Vor allem, wie es gelingen kann, über das hinaus, was trennt, in einem Miteinander, in gemeinsamer Entwicklung zu sein. Eines der Erlebnisse ist eine Situation, in der wir im Kontext von Coaching über den Umgang mit und Reaktionsmuster auf Veränderungen sprachen und hierfür Beispiele sammelten. Ich erwähnte, dass wir besondere Zeiten von Veränderungen erleben, disruptive Veränderungen, ja Brüche, die wir so noch nicht erlebt hätten. Schnell meldete sich eine georgische Kollegin zu Wort, die mir gleich bewusst machte, dass das sich in dem von mir verwendeten „Wir“ im Kontext von Veränderungen die meisten der Anwesenden wohl nicht einbezogen wahrnehmen. So erzählte sie von Ihrem Besuch in Deutschland Mitte der 90er Jahre und dass heute immer noch alles so aussähe wie seinerzeit. Auch das Produktangebot in Geschäften habe sich nicht groß verändert in seiner Vielfalt. Dann zählte sie auf, was in der Zwischenzeit in und mit Georgien passiert ist, was die Menschen erlebt und bewältigt haben, wie sich das Land verändert hat. Der Umgang mit Veränderungen und Brüchen präge das Leben – beruflich und privat.

Mir rufen die Begegnungen mit diesen Menschen, mit denen ich in diesen beiden Wochen arbeiten durfte und im nächsten Jahr wieder darf, unsere Gespräche und Gedanken geprägt von unseren so unterschiedlichen Biographien und Hintergründen, wieder ins Bewusstsein, wie wertvoll die Stabilität, Sicherheit und Freiheit sind, die wir in unserer Nachkriegszeit genießen durften, und wie wichtig es ist, sich für diese einzusetzen. Und da alles auch seine Schattenseiten hat, wie wir immer wieder auf allen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ebenen erleben müssen, ist es dabei auch so wichtig, neben der Wertschätzung des Positiven nicht aufzuhören, Missstände und Gefahren öffentlich zu machen und zu beseitigen, ständig an den Systemen zu arbeiten, zu lernen und zu verbessern. Für mich sind ein ganzheitliches Erfassen und Denken hier zentral sowie kontinuierliches Lernen und eine werteorientierte Bildung. Es gibt keine Insel der Glückseligkeit – nicht dauerhaft.

Was nehme ich mit?

Bei all unserem Handeln müssen wir daher immer wieder für uns selbst und miteinander die Fragen beantworten:

  • In welcher Welt wollen wir auch künftig leben?
  • Und welche Konsequenzen hat unser Handeln jetzt für die Zukunft?

Mir ist auch wieder bewusst geworden, welche Bedeutung die EU und Deutschland innerhalb der EU haben und welche besondere Rolle uns auch für die Entwicklung eines Vertrauens in Systeme und Institutionen zukommt.  Damit das, was ich als Nachkriegsgeborene – womit „wir“ den 2. Weltkrieg meinen – mit all den o.g. Qualitäten erleben durfte, nicht die Ausnahme wird, gibt es international, global unglaublich viel zu tun. Der Gedanke daran kann einen ohnmächtig und so klein erscheinen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass der Weg in eine gute Zukunft nur über Begegnungen, in denen Vertrauen wachsen kann, und ein Lernen durch Erleben möglich wird.

Meine Dankbarkeit

Und so war ich wieder einmal mehr sehr dankbar dafür, mit anderen Menschen als Wegbegleiterin für Entwicklungsprozesse arbeiten und wirksam werden und mich für Werte, die ich als maximal lohnenswert und sinnvoll empfinde, einsetzen zu dürfen.

(Die Fotos in diesem Beitrag stammen von der GIZ, Fotograf: Sergo Goginashvili)